Das Klima geht uns alle an
Die aktuellen Klimastreiks fordern ein Umdenken der Politik beim Klimaschutz. Kritiker der Bewegung bemängeln, dass die Streikenden bei sich selbst anfangen sollten. Diese Individualisierung von Nachhaltigkeit führt zur Frage: Was kann das Individuum bequem für mehr Nachhaltigkeit tun? „Bequem“ ist dabei ein sehr wichtiger Aspekt: Studien belegen, dass der Mensch nur in sogenannten Low-Cost-Situationen seine moralischen Vorsätze wirklich in Tat umsetzt, wenn also kaum ein zusätzlicher Aufwand nötig ist. Wie können wir also in unserem Alltag die ökologische Nachhaltigkeit bequem verbessern? Zum Beispiel durch das Recycling von Kunststoffen.
Der Kunststoff, der die Welt verändert
Eigentlich hat Recycling eine lange Tradition: Bereits im 17. Jahrhundert existierten in Österreich Sekundärmärkte für gebrauchte Produkte. Auf diesen Märkten wechselten zum Beispiel Bücher, Bilder, Alttextilien, Bettwäsche oder Geschirr den Besitzer. Auch weil die Produktion aus Kunststoff aufkam, verschwand die Praxis der Wiederverwertung jedoch allmählich aus dem Alltag. Das billige Material, das einen einfachen Transport ermöglicht und einen gewissen Hygienestandard sicherstellt, lässt sich in verschiedensten Formen und Festigkeiten herstellen. Es trug viel zum Aufstieg der Konsumgesellschaft bei.
Alternativen zu Plastik gibt es kaum, so ist zum Beispiel Bioplastik betreffend Nachhaltigkeit ebenso fragwürdig wie herkömmlicher Kunststoff. Dies ist einer der Gründe, weshalb Kunststoff in unserer Gesellschaft so tief verankert ist, dass die Vorstellung eines Alltags ohne dieses Material beinahe utopisch ist.
Recycling von Kunstoff
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, Kunststoff zu recyceln, nämlich das energetische und das werkstoffliche Recycling. Letzteres wäre aus ökologischer Sicht sinnvoller, weil durch das Wiederverwerten die Nachfrage nach neuen Kunststoffen, deren Produktion ökologisch nicht nachhaltig ist, zurückgeht. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) schreibt dazu auf seiner Webseite: „Die Separatsammlung für das Recycling ist der energetischen Verwertung grundsätzlich vorzuziehen.“ Doch wenn ich in der Schweiz meinen Kunststoff bequem mit dem Hauskehricht entsorge, wird er meistens energetisch recycelt. Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?
Das Problem des werkstofflichen Recyclings ist, dass es zu teuer ist. In einer Stellungnahme schreibt das BAFU, es könne das Bedürfnis der Bevölkerung, Kunststoffabfälle separat sammeln zu wollen, durchaus nachvollziehen. Aber: „ Eine Sammlung ist nur sinnvoll, wenn Kosten und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen.“
Wirtschaft und Nachhaltigkeit: Ein Spannungsverhältnis
In Bern läuft aktuell ein Pilotprojekt, das die Diskrepanz des werkstofflichen Recyclings aufzuheben versucht. Diese Art des Recyclings von Kunststoffen soll dabei mit einem Farbsacktrennsystem bis in die Haushalte getragen werden. So können die Kunststoffe zu Hause in einem Recyclingsack entsorgt und bequem in einem Container unten an der Ecke zum Verschwinden gebracht werden. Aber auch hier gilt: Am Ende der Testphase wird anhand der Wirtschaftlichkeit und der Benutzerfreundlichkeit über die Fortführung des Projekts entschieden.
Rentabilitätszentriertes Denken, wie es anscheinend auch beim Recycling in Bern existiert, ist bei Fragen der Nachhaltigkeit fehl am Platz. Nicht Aspekte von Wachstum oder Kapital sollten im Vordergrund stehen, sondern der Wille, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Der Wirtschaft geht es genau wie dem Individuum: Sie ist bequem, und zwar in dem Sinne, dass sie nachhaltiges Handeln mit dem Streben nach Kapital und Wachstum in jenen Bereichen verbindet, in denen sich diese Ziele nicht widersprechen. Oder wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth in ihrem Buch „ Die Donut-Ökonomie“ beklagt: Die Wirtschaft tut für die Nachhaltigkeit nur genau das, was sich auszahlt.
Weil Wirtschaft und Politik sich zu wenig bewegen in Sachen Kunststoffrecycling, ist es für das Individuum schwierig, einen gangbaren Weg zu finden. Statt sich zu fragen, was der einzelne Mensch für mehr Nachhaltigkeit tun kann, wäre es vielleicht einfacher, die von uns geschaffenen Systeme zu ändern. Damit würde den Individuen ein bequemerer, nachhaltigerer Alltag erst ermöglicht. So, wie es die Klimastreikenden fordern.
Text: Valentin Baer, Student Universität Bern
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Quellen:
BAFU (2019): Kunststoffe, Stand: 2018, Aufruf: 28.01.2019
ewb (2019): Die Heizungen für Bern, Stand: 2019, Aufruf: 28.01.2019